Erzbischof: Globaler Coronakrise mit globaler Solidarität begegnen
Um mit weltweiten Herausforderungen wie der Corona-Krise zurechtzukommen, muss die Menschheit das Prinzip "think global, act local" (global denken, lokal handeln) verinnerlichen und zu einer neuen Solidarität finden: Das hat der indische Erzbischof Leo Cornelio (75) am Dienstag bei dem von österreichischen Kirchenhilfswerken ausgerichteten Webinar "Globale Krise- Globale Kirche" gefordert. "Wir sind alle Teil einer Familie, und was einen betrifft, betrifft alle. Das zeigt sich in der Pandemie ebenso wie in der aktuellen Rassismus-Debatte nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd", sagte der Oberhirte der Erzdiözese Bhopal im zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh.
"Auch heute, da die Welt ein globales Dorf ist, brauchen wir die mit bestimmten Orten verbundene Identität. Wir dürfen uns aber nicht darauf beschränken, sondern müssen weiter denken", betonte der Erzbischof. Sich als "Weltbürger" zu verstehen, allen Menschen - unabhängig von Nation, Ethnie, Sprache, sozialer Stellung und Religion - respektvoll zu begegnen und sich vom Leid anderer berühren zu lassen, sei eine zutiefst "christliche" Grundhaltung. Die Kirche müsse sich um deren Förderung immer bemühen, wobei Papst Franziskus energisch vorangehe: Seine Enzyklika "Laudato si" mit ihrem Appell zu Ausgleich, Nachhaltigkeit und Solidarität zeige dies deutlich, betonte Cornelio.
Zentralindien ist von der Coronakrise und den sozialen Begleiterscheinungen des "Lockdowns" besonders betroffen, berichtete der Erzbischof. Das Problem der plötzlich arbeitslos gewordenen Wanderarbeiter habe man hier hautnah miterlebt: "Die meist aus ärmeren Bundesstaaten kommenden Arbeiter standen im März plötzlich ohne Arbeit, Nahrung und auch öffentlichen Transport da. Daraufhin setzte eine Binnenmigration ein von Hunderttausenden, die oft 500, manchmal sogar 1.000 oder 2.000 Kilometer zu Fuß nach Hause gingen." Hilfen der Behörden habe es für diese Gruppe kaum gegeben. Private Gruppen, NGOS und besonders auch Pfarren seien jedoch eingesprungen - mit öffentlichen Ausspeisungen, Lebensmittelpaketen, Unterkünften und Transporthilfen. "Viele sind jedoch weiter in großer Not, auch in den Dörfern", sagte Cornelio.
Erodierende Demokratie
In Indiens Gesellschaft beobachtete der den Steyler Missionaren angehörende Erzbischof negative wie auch positive Folgen durch die Coronakrise, in der es bisher zudem bereits zwei verheerende Wirbelstürme gab. "Einerseits werden sich alle Menschen ihrer Verwundbarkeit bewusst, denn das Virus und der Lockdown betreffen Arme wie Reiche gleichermaßen. Dies ließ die Solidarität wachsen und half beim Auflösen von Spannungen wie etwa zwischen Hindus und Muslime. Gleichzeitig jedoch gibt es Polizeigewalt gegen Demonstranten, Drohungen und Angriffe, wenn man Missstände etwa im Umgang mit Christen, Dalits und Tribals öffentlich anspricht. Der gute Wille unserer politischen Führer weicht dann oft dem enormen Druck von Interessengruppen - womit unsere demokratische Kultur immer mehr erodiert", so die Sorge des indischen Kirchenmanns.
Für die katholische Kirche Indiens gehöre die Verteidigung der Menschenrechte zu den vordringlichen Aufgaben, berichtete Cornelio. Gedeckt sei dieser Einsatz von der indischen Verfassung, "in der auch klar steht, dass jeder die Freiheit hat, seine je eigene Religion auszuüben". Trainings von Menschenrechtsaktivisten, Englischkurse für Jugendliche und die bewusste Weitergabe von Werten in den kirchlichen Schulen seien dafür wichtig. "Wir wollen unsere Kinder lehren. Sie sollen ehrenhafte, selbstbewusste Bürger und auch Weltbürger sein. Nationalismus kann unser Land nicht brauchen", so der Erzbischof.
Cornelio äußerte sich beim ersten von zwei Teilen eines am Dienstag gestarteten Webinars unter dem Titel "Globale Krise- Globale Kirche", bei dem Projektpartner kirchlicher Hilfswerke aus Asien, Afrika und Lateinamerika über die Corona-Situation in ihrem Land und ihre Perspektiven dazu berichten. Organisiert von der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission (KOO) und den Ordensgemeinschaften, mit Unterstützung der Jesuitenmission, Dreikönigsaktion, Kath. Jugend Österreich und Steyler Missionare stellt die Veranstaltung ein Ersatzprogramm für die diesjährige "weltkirche.tagung" zum Thema "Stadt ist mega!?" dar, die Pandemie-bedingt auf 2021 verschoben wurde.
Kreative Lösungen gefragt
Einer der weiteren teilnehmenden Experten war der aus Beirut zugeschaltete Ordensmann Daniel J. Corrou. Der Regionalleiter für den Mittleren Osten und Nordafrika beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst JRS berichtete über Corona-Auswirkungen im Libanon. Die Schüler seien auch dort derzeit im Fernunterricht, "anders als im Westen gibt es aber nicht für jede Person ein iPad und ein 3G- oder noch schnelleres Internet. Familien mit bis zu fünf Kindern haben oft nur ein Smartphone, und Internet nur über teure Prepaid-Karten". Um die Downloadmenge gering zu halten, fassten die Lehrer ihre Stunden in kompakte Whatsapp-Kurzvideos zusammen. "Wir müssen die Probleme der Gegenwart klar benennen - und eine Antwort der Liebe darauf finden", deutete dies der Ordensbruder.
Ähnliche kreative Lösungen, die auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen, sei auch bei den JRS-Projekten im Nordirak gefragt. Corrou berichtete von Programmen, die von Kriegsgräuel und Genozid gezeichneten Christen, Muslime und Jesiden psychologische Unterstützung leisten. Die Lebensgeschichten dieser Menschen von Vertreibung, systematischer Folter und Vergewaltigung seien "die schlimmsten, die ich je gehört habe", sagte der Regionalleiter. Angesichts fehlender öffentlicher Programme für diese Gruppe gelte es hier auch in der Corona-Situation Lösungen zu finden. So vermittle der Flüchtlingsdienst beispielsweise Therapiesitzungen in kleinen Gruppen via WhatsApp, Psychologengespräche übers Telefon oder Verteilung von Psychopharmaka, um der Suizidgefahr entgegenzuwirken. "Auch diese Arbeit ist Teil der Verkündigung", betonte Corrou.