weltkirche.tagung: Gemeinsame Zukunft statt Ausbeutung
Die von den Ordensgemeinschaften Österreichs und der Koordinierungsstelle der Bischofskonferenz für internationale Mission und Entwicklung (KOO) durchgeführte Weltkirche-Tagung wurde online durchgeführt, mit Beiträgen aus Deutschland, dem Senegal und Peru im Blick auf die weltweiten Auswirkungen der Corona-Pandemie.
So wunderbar der Technologieschub durch Corona-Pandemie sei, weil virtuelles Zueinanderfinden ermöglicht wurde, so sehr ist die Pandemie laut Freistetter auch Brennglas für die globalen Herausforderungen. Die weltweite Erkrankung an Corona oder auch der Tod von etwa vier Millionen Menschen hätten zu viel Leid und zu gesellschaftlichen Zerwürfnissen geführt. "Die Krise hat uns gezeigt, wo unsere Gesellschaften und Kulturen und die internationale Staatengemeinschaft brüchig oder schwach sind", stellte Freistetter fest. Alles sei miteinander verbunden, Menschen, Pflanzen, Tiere stehen in Zusammenhang. "Dieses empfindliche Gleichgewicht wird durch uns Menschen zunehmend gestört", gab er zu bedenken.
Freistetter verwies auf die Enzyklika Fratelli Tutti von Papst Franziskus, die dieser Tagung als Grundlage diente. Der Papst habe zwei zentrale Orientierungspunkte ausgemacht: die Menschheitsfamilie und das gemeinwohlorientierte Wirtschaften. "Mit deutlichen Worten kritisiert Papst Franziskus darin ein an ungezügeltem Wachstum orientiertes Wirtschaftssystem", erklärte Freistetter. Die Analyse des Papstes sei eine "prophetische Anklage", die vor drastischen Formulierungen nicht zurückschrecke. Er weise dabei auf die vielen Menschen hin, die auch heute noch unter sklavenähnlichen Bedingungen leben und arbeiten müssen, ausgebeutet werden und vielfältige Gewalt erfahren.
Gemeinwohl und Menschheitsfamilie
Letztendlich könne der Ausweg aus den aktuellen Krisen nach Freistetter nur in einer verbindlichen Orientierung an der ganzen Menschheitsfamilie und an einer konsequent und nachhaltig am Gemeinwohl orientierten Wirtschaft liegen. Durch die wiederkehrende Befassung mit dem Konzept der Menschheitsfamilie und Gemeinwohlorientierung mache der Heilige Vater Schwachstellen des Systems deutlich: die reine Orientierung am eigenen Vorteil, die fehlende Verbundenheit mit der Mitwelt und die Abwertung einer am Gemeinwohl orientierten Politik.
In der Enzyklika werde, erklärte Freistetter weiter, die hohe Wertigkeit der Beziehungsebene hervorgehoben und die verschiedenen Ebenen betont, die notwendig und belebend seien, um die Krisen friedlich zu bewältigen: etwa Dialog und Zuhören, Bürgerbeteiligung und politische Führung, Bedeutung der sozialen Bewegungen, Bekräftigung und Schutz der grundlegenden Menschenrechte, eine alle Glaubenstraditionen übergreifende Zusammenarbeit; Kultur der Fürsorge, die die Gleichgültigkeit ersetzt; Reform der Institutionen, sodass diese nicht von Wohlhabenden dominiert werden; Verteidigung der lokalen Kulturen und Vielfalt, gewaltfreie Kommunikation, Frieden und die Abschaffung der Todesstrafe.
Der "Weltkirche-Bischof" zeigte sich abschließend zuversichtlich, "dass wir mit der heutigen Veranstaltung, den Expertinnen und Experten aus vielen Erdteilen und den Beiträgen der Teilnehmerinnen und Teilnehmern, das 'neue Wir' gestalten und Wege zu mehr Solidarität und ökologischer sowie sozialer Nachhaltigkeit sichtbar machen können".
"Wir" statt "globaler Egoismus"
Was seit Jahrzehnten beklagt wird, etwa schlechte Gesundheitsversorgung in vielen Ländern, habe sich während der Pandemie verschlimmert und sei sichtbarer geworden, analysierte Stefan Silber. Der Professor für Systematische Theologie an der Katholischen Hochschule NRW in Paderborn stellte fest, dass die Pandemie deutlicher gemacht habe, welche aktuellen Herausforderungen es weltweit gibt.
Ein "globaler Egoismus" stehe im Gegensatz zu einem "Wir", in dem die Herausforderungen im Sinne des Gemeinwohls angegangen werden, obwohl ein Wir immer auch eine Frage der Definition sei. Silber kritisierte ausbeutende Wirtschaftsstrategien. Er zitierte Papst Franziskus, der seit Jahren illegale Waffentransporte und Waffenhandel anprangert. Wir würden uns in einer Form des "versteckten Krieges" befinden. "Das Erbe der kolonialen Vergangenheit haben wir im Westen nicht vergessen", das führe zu unüberlegt übernommenen Herrschaftsstrukturen, die in Europa Entdemokratisierungsschübe zur Folge hätten. Auch das Christentum sei, ebenso wie andere Religionen, nicht davor gefeit, bestimmte Formen des globalen Egoismus unüberlegt zu übernehmen und so zu "Problemverstärkern" zu werden.
Wenn man an einem neuen "Wir" bauen will, müsse man bedenken, dass in der Vergangenheit Wunden entstanden sind. Diese gelte es, nicht auszuklammern. "Ein anderes Wir ist möglich", sagte Silber: "in Dankbarkeit und Respekt der Natur, der Gesellschaft, der Familie und den früheren Generationen gegenüber und in Genügsamkeit." Die lokale Gemeinschaft voranzubringen und mit dem Globalen zu vernetzen, sei ein Lernfaktor der Amazonien-Synode von 2019. Es sei notwendig, dieses Wir in Gemeinschaft und mit Respekt vor der Diversität der Gesellschaft zu leben.
In Bezug auf die aktuelle Debatte um die Lebensentwürfe der LGBTQ-Community, sei es wichtig, in Distanz zu den eigenen Bedürfnissen zu gehen und mit Respekt darauf zu schauen, was ein anderer Teil der Gesellschaft braucht. Im Sinne eines "Reparierens" statt "Entwickelns" sei es notwendig, entstandene Wunden mit Respekt nicht zu übergehen und dadurch einen Schritt Richtung Heilung zu gehen. Abschließend sprach Silber den Appell aus, es sich "nicht zu leicht zu machen mit dem Wir und darauf zu achten, dass es Menschen gibt, denen es sehr schwerfällt, sich diesem Wir anzuschließen, oder sich mitgemeint zu fühlen".
Ethik der einfachen Lebensweise
Wer in einer Gemeinschaft lebt, erfahre Solidarität, teilte Sr. Anne Beatrice Faye ihre Erfahrung aus dem Senegal. Die Unterscheidung zwischen Armut und Elend sei wesentlich. "Versuchen wir nicht Armut, sondern Elend zu bekämpfen", schlug Faye vor. Dadurch sei eine Form der Geselligkeit trotz Armut möglich. Sie plädierte für einen möglichst einfachen Lebensstil zum Wohle aller und aus Respekt vor der Natur. Zusammenfassend könne das als "Ethik der einfachen Lebensweise" oder "Ethik der Armut" bezeichnet werden.
Faye erzählte, dass die Pandemie "den Schrei der Armen" noch deutlicher in den Fokus gerückt habe. Die von Papst Franziskus in der Enzyklika "Laudato si" getätigte Feststellung, dass alles miteinander verbunden und voneinander abhängig ist, sei sichtbarer geworden. Die Corona-Pandemie fordere ein gemeinsames, weltweites Handeln aller Menschen.
Man könne sich als Mensch nicht als von der Natur getrennt betrachten, sondern solle auch auf das Wasser, den Wind und die Verstorbenen hören. Die verstorbenen Ahnen seien in der afrikanischen Vorstellung weiterhin Teil des Lebens. Deshalb setze man derzeit auf "integrale Ökologie". Die Landwirtschaft solle in Verbindung mit der Natur betrieben werden, wodurch eine Nutzung der trockenen Gebiete ermöglicht werde. Zudem sollen Frauen gestärkt und in Umweltschulen investiert werden. Weil die Gesundheit der Menschen von der Gesundheit der Natur abhänge, werden generell im Senegal Bäume gepflanzt. In Fayes Dorf sind "heilige Bäume" auch Zufluchtsorte für Menschen.
Action Plattform
Für einen verstärkten weltweiten Wandel, der bei jedem einzelnen Menschen beginnt, macht sich die "Laudato Si`Action Platform" stark. Chiara Martinelli von CIDSE, einem internationalen Zusammenschluss katholischer Organisationen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, ermutigte dazu, selbst aktiv zu werden und sich inspirieren zu lassen. Laut Untersuchungen hätte es etwa bereits revolutionäre Auswirkungen, wenn ein Viertel der Menschheit weniger Fleisch essen würde. Die Aktionsplattform zeige, dass dieses Potenzial vorhanden sei. "Jetzt ist der Zeitpunkt, wo wir die Covid-Krise zu einer Chance machen können, um die Politik und die Welt von morgen mitzugestalten", sagte sie.
Es bleiben weniger als zehn Jahre, um die Veränderung in Richtung gerechtere und nachhaltigere Welt herbeizuführen, appellierte Martinelli. Sie zitierte Papst Franziskus, der in seinem Lehrschreiben fragt, welche Welt den nächsten Generationen hinterlassen werden soll, und was jede und jeder Einzelne dafür tut, dass es eine gute, gesunde Welt ist. Die Aktionsplattform sei ein Instrument, um die Veränderung im Alltag zu erreichen. Das Bewusstsein, dass niemand alleine ist und, dass es eine gemeinsame Anstrengung brauche, sei dabei das Kernstück. Beim Aufbau von Gemeinschaften etwa gehe es um gegenseitige Inspiration. In einer großen Onlinebibliothek werden deshalb Erfahrungen und Wissen geteilt.
Die "Laudato Si`Ziele" orientieren sich an den Entwicklungszielen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Die Aktionsplattform solle etwa Familien, Pfarren, Unternehmen und Einzelpersonen auf diesem Weg unterstützen. Reflexion, Handeln, Evaluieren und Feiern von Erfolgen sollen dabei ein Kreislauf auf diesem Weg sein, der sich immer wiederholt.
Noch bis am späten Samstagnachmittag geben Referierende aus dem Bereich der Theologie Einblicke in ihre jeweilige Lebenswirklichkeit während der Corona-Pandemie und Impulse für eine weltweit gemeinsame Zukunft. Ihre Basis sind unterschiedliche weltkirchliche Regionen aus vier Kontinenten und verschiedenen Ländern. Dass das in Präsenz so nicht möglich gewesen wäre, stellte Hannah Angerbauer, KOO-Fachreferentin für Anwaltschaft, zu Beginn der Tagung fest.