Kirchenvertreter fordern Amtsenthebung Bolsonaros
In Brasilien fordern Kirchenvertreter die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsident Jair Bolsonaro. Der Nationalrat der christlichen Kirchen Brasiliens (CONIC) und die kirchliche Kommission "Iustitia et Pax" werfen dem Staatschef in einer gemeinsam veröffentlichten Erklärung völlig unverantwortliches Handeln in der vom Coronavirus ausgelösten aktuellen "beispiellosen Krise" vor. Anstatt das Land im Kampf gegen die Krankheit zu vereinen und anzuführen, "predige" Bolsonaro den Konflikt, setze auf Desinformation und leugne den wissenschaftlichen Wert von Gesundheitsbehörden empfohlener Maßnahmen, so die Vertreter mehrerer christlicher Kirchen, darunter Katholiken, Lutheraner, Orthodoxe und Anglikaner, in dem auf der CONIC-Website abrufbaren Schreiben.
Kritisch verweisen die Kirchenvertreter auf die "ständige Opposition" Bolsonaros gegen von Gouverneuren und Bürgermeistern gesetzte Schritte zum Schutz vor einer weiteren Ausbreitung des Virus. Auch habe der Präsident sein Veto gegen ein Gesetz zur Nothilfe für Bedürftige eingelegt. Demokratische Institutionen und Zivilgesellschaft müssten sich nun klar positionieren und zur Verteidigung der Demokratie rasch handeln, heißt es in dem Aufruf, in dem auf die verschiedenen verfassungsmäßigen Möglichkeiten zur Abberufung eines Staatspräsidenten Bezug genommen wird.
Als zentralen juristischen Hebel für eine Amtsenthebung nennen die Kirchenvertreter eine Demonstration in Brasilia, bei der zuletzt ein Militärputsch sowie die Schließung des Kongresses und des Obersten Gerichts gefordert wurden. Präsident Bolsonaro hatte selbst an der Demonstration teilgenommen. In der Causa ermittelt bereits das Oberste Gericht, das wissen will, wer die Demonstrationen organisiert hat. Brasilianische Medien sehen hier die Söhne Bolsonaros verantwortlich, von denen einer auch Abgeordneter im Bundesparlament ist.
"Alarmierende" Arbeitslosigkeit und Hunger
Brasilien hat bereits mehr an die 4.000 Corona-Todesopfer, Tendenz rasant steigend. Vor wenigen Tagen entließ Bolsonaro den moderaten Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta, weil dieser sich für Ausgangsbeschränkungen einsetzte. Im politischen Chaos des Landes trat zuletzt am Freitag Justizminister Sergio Moro unter schweren Anschuldigungen gegen Bolsonaro zurück. Der Präsident versuche, Ermittlungen gegen sich und seine Söhne zu stoppen, so Moros Vorwurf, den Bolsonaro freilich zurückweist. Zuvor hatte der Präsident den Leiter der brasilianischen Bundespolizei entlassen, der aber dem Justizministerium untersteht.
Die christlichen Kirchen warnten derweil in ihrer gemeinsamen Erklärung vor der sozioökonomischen Krise, die sich durch die Pandemie weiter vertiefe. Arbeitslosigkeit und Hunger in Brasilien würden sich auf alarmierende Weise verschlimmern. Die Priorität der Regierung Bolsonaro jedoch liege bei Banken und Großunternehmern, so die Kritiker.
Bischof Freistetter: Sorge ist groß
In Österreich erklärte "Weltkirche-Bischof" Werner Freistetter am Montag seine Verbundenheit mit den brasilianischen Christen, "die sich tagtäglich für Demokratie, Menschenrechte und Klimaschutz einsetzen". "Die Sorge ist verständlicherweise groß, dass die Pandemie genutzt wird, die ökonomische Ausbeutung der natürlichen Ressourcen auf Kosten der Menschen und der Biodiversität voranzutreiben und den eigenen Machtspielraum auszuweiten", so der Militärbischof, der u.a. zuständiger Referatsbischof für die Koordinierungsstelle für Mission und Entwicklung (KOO) der Österreichischen Bischofskonferenz ist.
Die Corona-Pandemie verschärfe in aller Welt bestehende Konflikte und Ungerechtigkeiten, äußerte sich KOO-Geschäftsführerin Anja Appel: "Umso wichtiger ist es, dass sich die Kirchen für eine starke Demokratie und die Sorge für die Benachteiligten in der Gesellschaft einsetzen, gerade auch in Brasilien, von wo uns regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutungsvorgänge berichtet wird."
In Brasilien gab es am Montag 63.100 bestätigte Coronavirus-Erkrankungen, darunter 28.662 weiter aktive; 4.286 Menschen sind bisher an der Covid-19-Infektion verstorben, womit das größte Land Lateinamerikas auch das in absoluten Zahlen am meisten von der Krise betroffene ist.