Kirchliche Experten von Madrider Klimagipfel enttäuscht
Madrid-Wien, 16.12.2019 (KAP) Enttäuscht über den am Sonntag zu Ende gegangenen UN-Klimagipfel in Madrid haben sich kirchliche Fachleute geäußert. "Die Staaten und Regierungen wissen genauer als die NGOs über Risiken Bescheid, tun aber, als hätten sie noch viel Zeit", kritisierte Anja Appel, Geschäftsführerin der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission (KOO), am Montag in einer Stellungnahme gegenüber "Kathpress". KOO-Klimaexperte Martin Krenn, der an der Madrider Konferenz auch selbst teilnahm, bezeichnete das nach zwei Wochen erreichte Ergebnis als "herbe Enttäuschung".
"Es ist schon bezeichnend, wenn man das geglückte Verschieben von faulen Regeln für Kohlenstoffmärkte als einzigen Erfolg feiern kann", sagte Krenn gegenüber "Kathpress". Die von den Staaten verhandelte Regelung hätte u.a. durch Erlauben von Doppelzählungen von Kohlenstoff-Zertifikaten das Pariser Klimaabkommen von 2015 ausgehöhlt, weshalb die Verhinderung der Einigung auf diesem Gebiet durch die EU und viele andere zu begrüßen sei. "In diesem Fall gilt: Besser keine als schlechte Regeln", so der Referent für Anwaltschaft. Bei vielen anderen Diskussionspunkten hätten die Staatenvertreter allerdings versagt.
So seien etwa beim Umgang mit Verlusten und Schäden durch Klimaereignisse wie Meeresanstieg, Taifune oder Bodenversalzung die Entwicklungsländer mit ihren Forderungen nach besserer Finanzhilfe durch die Industriestaaten weiter alleine gelassen worden, kritisierte Krenn. Auch wenn die reichen Länder hier zurecht ein "Fass ohne Boden" befürchteten, gelte: "Die enormen Kosten fallen vor Ort an und werden bisher nur zu einem Bruchteil von Humanitärer Hilfe oder Versicherungsmechanismen abgedeckt". Dass die Entwicklungsländer den Großteil somit alleine zu tragen hätten, sei eine "Ungerechtigkeit", betonte der Fachmann.
Eine weitaus stärkere Position der Klimakonferenz hätte sich der KOO-Vertreter auch in Sachen Menschenrechte gewünscht. "Solange kein deutliches Bekenntnis zu deren Einhaltung kommt, werden Klimaschutz-Projekte auch weiterhin immer wieder zu Vertreibungen von Menschen oder zu Verletzungen ihrer Menschenrechte führen. Aus Entwicklungsperspektive ist so eine Falle fatal", betonte Krenn.
Von wegen "höchstmögliche Ambition"
Ihrer Aufgabe, ein "Sprungbrett für die Steigerung der Ambitionen im Klimaschutz" darzustellen, sei die Klimakonferenz nicht nachgekommen, so die Einschätzung des KOO-Experten. Im Jahr 2020 müssen alle Staaten ihre nationalen Klimaziele für die Erreichung des Pariser Abkommens präsentieren. Zu hoffen sei dabei auf gesteigerten Ehrgeiz. "Denn die bisherigen Zielsetzungen verfehlen in Summe das Ziel einer Erderwärmung von 1,5 Grad Celsius klar", wie Krenn unterstrich. In Madrid wurden die Staaten nur eingeladen, ihre Ziele "mit höchstmöglicher Ambition" anzupassen - was trotz allem eine "äußerst schwache Formulierung" sei.
Auch Österreich, bei der Konferenz vertreten von Mitgliedern der derzeitigen Expertenregierung, sei "äußerst zurückhaltend" aufgetreten und habe "keine Schritte gesetzt, die der Dringlichkeit des Grundproblems gerecht werden". Ebenso wie Umweltministerin Maria Patek habe auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen nichts Konkretes über Steigerungen der Klimaschutz-Ambitionen in Österreich sagen können. Für die nächste Bundesregierung sehe er den "klaren Auftrag, mehr zu liefern als Minimalverbesserungen von Plänen, die so nicht zum Ziel führen", betonte Krenn. Maßnahmen radikaler CO2-Reduktion seien nötig, wobei alle Lebensbereiche - vor allem der Verkehr - zu erfassen und die nötigen Budgetmittel bereitzustellen seien.
Immerhin gehe Großbritannien, Präsidentschaftsinhaber beim nächsten Klimagipfel in Glasgow, mit gutem Beispiel durch die Ankündigung voran, die nationalen Ziele bereits im März bekanntzugeben. Krenn: "Schafft auch die EU diesen Schritt rechtzeitig, könnte bis Herbst China mitziehen, da beide im kommenden Jahr ihre strategische Kooperation auf Schiene bringen wollen." Dem weltweiten Klimaschutz könne dies den entscheidenden Auftrieb geben. Bereits abzusehen sei, "dass sich die wichtigen Entscheidungen im Klimaschutz weg von den internationalen Klimagipfeln hin auf die nationale und bilaterale Ebene verschiebt - geht es doch künftig vor allem darum, wie bereits gesteckte Ziele erreicht werden können", erklärte der Fachexperte.
Stärke der Zusammenschau
Die katholische Kirche war bei den Madrider Verhandlungen durch die Delegation des Vatikans als Beobachter vertreten. Weiters verlas Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin zu Beginn einen Appell von Papst Franziskus zu "mehr Taten", während die spanische Bischofskonferenz am Rande Diskussionen zu Themen wie Klimagerechtigkeit, Divestment, ethische Grundlagen oder Bildung veranstaltete. Beim Klimagipfel von 2020 sei noch mehr Sichtbarkeit und eine stärkere Botschaft von Seiten des Heiligen Stuhls nötig, befand Krenn - "denn die Stärke der Kirche wäre vor allem die Zusammenschau und das Mitbedenken und Kommunizieren der verschiedenen Problemgebiete".
Die katholische Kirche hatte sich bereits zwei Monate zuvor - bei der Amazonien-Synode im Vatikan - intensiv mit der Klimathematik auseinandergesetzt und dort in einem an das Madrider Treffen gerichteten Aufruf Untätigkeit im Klimaschutz als ein "Verbrechen gegen Mensch und Natur" gebrandmarkt.
KOO-Geschäftsführerin Appel nannte gegenüber "Kathpress" drei zentrale Aufgaben der Kirche in der Klimadebatte: Sie könne "vermitteln, dass hinter dem nötigen Verzicht Sinn steht"; sie propagiere einen neuen Blick auf die Weltgemeinschaft, in der Bewohner anderer Ländern Geschwister statt bloß Exportempfänger seien; und sie liefere, etwa durch die Orden, Modelle für gemeinschaftliches Zusammenleben.
Straßenproteste wohl auch 2020
Krenn prognostizierte, dass im Jahr 2020 der Druck auf die Regierungsvertreter international wohl noch deutlich zunehmen werde. "Die NGOs- und Jugendvertreter haben sich in Madrid enttäuscht darüber geäußert, dass die Politik nicht weiterkommt, obwohl der Hut brennt. In der Zivilgesellschaft brodelt es merkbar, wenn die Klimakonferenzen nichts liefern, deshalb dürften die 'Fridays for Future'-Straßenproteste auf dem Weg zum nächsten Klimagipfel wohl noch einen Zahn zulegen."