Dekolonialisierung: ein Auftrag für katholische Entwicklungszusammenarbeit
In den letzten Jahren werden Forderungen, die weitreichenden Folgen kolonialer Herrschaft endlich ernsthaft in Angriff auch in der Katholischen Kirche und ihrer Entwicklungszusammenarbeit (EZA) immer lauter.
Tatsächlich war die Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit für einige Jahrzehnte weitgehend aus der internationalen Öffentlichkeit verschwunden, und wurde erst in den letzten Jahren mit dem Ziel der „Dekolonialisierung“ – in einem neuen Sinn zurück auf die politische Bühne gebracht. Denn an den Lebenschancen jener Bevölkerungsgruppen, die einst vom Kolonialismus unterworfen wurden, hat sich bis heute erstaunlich wenig geändert, denn die Welt ist zweifellos weiterhin von vielen gewaltvollen Strukturen geprägt, die sich im Zuge kolonialer Eroberung und Herrschaft herausgebildet haben: etwa der rassistischen Einteilung und Diskriminierung von Menschen, einer Wachstumsökonomie, die Mensch und Natur im Globalen Süden ausbeutet und der Profit und die Verfügungsmacht weitestgehend im Globalem Norden verbleiben.
Die Katholische Kirche war historisch an kolonialen Machtverhältnissen beteiligt, leistete aber in Gestalt Einzelner auch Widerstand. Dass die Katholische Kirche jetzt nicht nur (Mit)Täterin an, sondern auch treibende Kraft in der Überwindung kolonialer Gewaltverhältnisse sein kann, zeigte sich in der Amazoniensynode von 2019. Ausgehend von einem intensiven Beteiligungsprozess mit indigenen Gruppen und Basisgemeinden, formulierten Lai*innen, Theolog*innen, Priester und Bischöfe eine schonungslose Kritik an den verheerenden menschlichen und ökologischen Auswirkungen eines neokolonial und extraktivistisch agierenden kapitalistischen Wirtschaftssystems. Und sie forderten eine zivilisatorische, ökonomische, aber auch spirituelle Umkehr, die nicht zuletzt von den Gemeinschafts-, Wissens- und Glaubensformen indigener Gruppen Entscheidendes zu lernen habe.
In diesem Spannungsfeld (zwischen Mittäterin an und Mitstreiterin gegen koloniale Ungleichheiten) bewegt sich auch die Katholische Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit. Sie ist daher dringend gefordert, Fragen kolonialer Ungleichheiten auch innerhalb ihrer eigenen Strukturen und Praktiken ernsthaft zu adressieren. Die Auseinandersetzung mit dieser Herausforderung hat längst begonnen. Etwa auf dem internationalen COMED-Forum für entwicklungspolitische Kommunikation, Bildung und Fundraising des Dachverbands CIDSE im Juni 2022 in Salzburg oder jüngst bei der von Horizont 3000 mitveranstalteten Fachtagung „Auftrag oder Utopie: Dekolonisierung in der Personellen Zusammenarbeit“ in Lindau am Bodensee. Die Baustellen und Ansätze sind breit gefächert: sie reichen von einer Veränderung von Bildern und Botschaften, insbesondere im Fundraising, über eine stärkere Sensibilisierung für Diskriminierungen und mehr Diversität innerhalb von „Nord-NGOs“, einer weiteren Verstärkung anwaltschaftlicher Arbeit bis hin zu einer Dekolonisierung von Partner*innenbeziehungen und der Verschiebung von Entscheidungskompetenzen. Dabei wurde deutlich, dass der Weg von zahlreichen Fallstricken gesäumt ist und vor allem Zeit, Vertrauen und die Bereitschaft zum Zuhören und zu echten Veränderungen erfordert. All das ist angesichts finanzieller Abhängigkeiten, knapper Einreichfristen, strenger Formalvorgaben, internationalen Fördertrends und immer umfangreicheren technischen Anforderungen schwierig – das Korsett ist eng und lässt oft wenig Raum für alternative Perspektiven und Herangehensweisen.
Mit den jüngsten Diskussionen und Initiativen wie diesen sind die ersten Schritte gemacht. Es werden hoffentlich noch viele weitere folgen, damit Entwicklungspolitik tatsächlich immer mehr zu einem gleichberechtigten Einsatz für eine gerechtere Welt werde.