Frauenrechte ins EU-Lieferkettengesetz
Anlässlich des internationalen Frauentags 2023 haben mehr als 140 Organisationen, darunter WIDE, in einem offenen Brief ihre Enttäuschung über das Fehlen einer Geschlechterperspektive im geplanten EU-Lieferkettengesetz geäußert. Sie machen speziell darauf aufmerksam, dass in der Stellungnahme des EU-Rats, dem Gremium der EU-Mitgliedsstaaten, der Verweis auf die Frauenrechte (CEDAW – die Menschenrechtskonvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau) aus dem materiellen Geltungsbereich der Richtlinie gestrichen worden ist – ein No-Go für WIDE!
Durch ein Lieferkettengesetz sollen Unternehmen dazu verpflichtet werden, Menschenrechte und die Umwelt entlang ihrer globalen Lieferketten zu schützen. Ein EU-Lieferkettengesetz hat großes Potenzial, sofern Unternehmen tatsächlich Verantwortung übernehmen müssen und es auf breiter Basis gültig ist. Das Gesetz muss eine geschlechtsspezifische Perspektive inkludieren, fordert WIDE, das entwicklungspolitische Netzwerk für Frauenrechte mit 21 Mitgliedsorganisationen in Österreich, sonst bleiben frauen*spezifische Lebensrealitäten, wie sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz, ausgeblendet.
„In der Entwicklungszusammenarbeit erleben wir ständig, wie Frauen und Mädchen in untergeordneter, ausbeuterischer Form in die globale Wirtschaft eingebunden sind. Das wird besonders im Textilsektor oder in der Landwirtschaft sichtbar, wo der Anteil von Frauen hoch ist. Solche Arbeitsplätze sichern oft nicht mehr als gerade mal das Überleben“, kritisiert Katharina Auer von Brot für die Welt. „Das Lieferkettengesetz ist eine Chance, um weltweit Frauen und Mädchen in prekären Arbeitsverhältnissen vor Ausbeutung, Diskriminierung und Gewalt zu schützen“, so Auer.
Derzeit erarbeitet das EU-Parlament eine Position zum vorgeschlagenen Lieferkettengesetz, danach beginnen die Trilog-Verhandlungen. „Der Kampf um ein effektives EU-Lieferkettengesetz ist noch lange nicht vorbei! Gerade in den nächsten Monaten wird es darum gehen, dass sich engagierte EU-Parlamentarier*innen für Nachschärfungen einsetzen und die Schlupflöcher im EU-Lieferkettengesetz stopfen“, fordert Bettina Rosenberger, Koordinatorin der Kampagne „Menschenrechte brauchen Gesetze!“
WIDE moniert, dass im EU-Lieferkettengesetz der Verweis auf die internationalen Frauenrechte enthalten sein muss und konkret auch die Empfehlung des CEDAW-Komitees (Nr. 30 aus 2013) in Bezug auf die Tätigkeit von internationalen Unternehmen in Konfliktgebieten. Laut CEDAW besteht eine Staatenverpflichtung dahingehend, dass nichtstaatliche Akteur*innen (Unternehmen), die extraterritorial (im Ausland) operieren, dafür zur Verantwortung zu ziehen sind, wenn ihre Aktivitäten in Konfliktgebieten zu Verstößen gegen die Rechte von Frauen führen. Eine klare Aussage für eine länderübergreifende Staatenverantwortung!
„Die Suche nach Lebensmitteln und Wasser infolge von Dürren und Überschwemmungen zwingt Frauen dazu, sich riskanten Situationen auszusetzen. Oft sind es Männer, die in Extremsituationen die knappen Ressourcen verwalten und über ihre Zugangsbedingungen bestimmen“, so die Gender-Beauftragte des lateinamerikanischen Fairtrade-Produzent*innen-Netzwerks CLAC, Rubidia Escobar. „Viele Frauen auf dem Land sind in solchen Situationen sexuellen Belästigungen, Ausbeutung und allgemeiner Gewalt ausgesetzt. Die Stärkung ihres Selbstbewusstseins und die Verbesserung ihrer Kenntnisse über Umweltzusammenhänge kann sie in die Lage versetzen, sich effektiver für alternative Lösungen einzusetzen.“
Die Verknappung von Rohstoffen und der Bedarf an neuen Energiequellen und -trägern führt zu immer mehr Druck auf die Umwelt und auf Subsistenz-Bäuer*innen im Globalen Süden, die versuchen, sich gegen den Verlust ihrer Existenzgrundlagen wegen Bergbau, Fracking oder dem Niederbrennen des Regenwalds zu verteidigen. Landraub und Gewalt gegen Umweltschützer*innen stehen eng mit Wirtschaftsinteressen im Energie- und Rohstoff-Sektor in Zusammenhang.
Frauen, die sich gegen Umweltzerstörung engagieren, riskieren mancherorts ihr Leben: so die indigene Umweltschützerin Berta Cáceres, die 2016 in Honduras ermordet wurde, oder die Mapuche-Umweltschützerin Macarena Valdés Muñoz, die im selben Jahr mutmaßlich wegen ihres Widerstands gegen den Bau eines Wasserkraftwerks in Chile ermordet wurde – die Ermittlungen verliefen im Sand. Zwei von vielen weltweit, die für ihr Engagement mit dem Leben bezahlten.
In Anbetracht der starken Betroffenheit indigener Gemeinschaften fordert WIDE, dass auch die jüngste Empfehlung des UN-Frauenrechtskomitees CEDAW (Nr. 39, 2022) berücksichtigt werden muss. Sie besagt, dass vor jeder eventuellen Genehmigung von Wirtschafts-, Entwicklungs-, Bergbau-, aber auch von Klimaschutz- und Klimaanpassungsprojekten auf indigenem Gebiet die freie und informierte Zustimmung indigener Frauen und Mädchen eingeholt werden muss. Auch diese Vorgabe muss explizit in das EU-Lieferkettengesetz einfließen!
„Als einer der größten Handelsblöcke hat die EU die Möglichkeit und die Verantwortung, ihr Engagement für die Menschenrechte unter Beweis zu stellen“, so Hannah Angerbauer von der KOO – Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz.
Die wichtigsten Forderungen des WIDE-Netzwerks sind, dass die gesamte Wertschöpfungskette durch das künftige EU-Lieferkettengesetz abgedeckt werden muss. Unternehmen aller Größenordnung müssen erfasst sein. Die international anerkannten Frauenrechte müssen klar einbezogen sein, und Betroffene von Arbeitsrechtsverletzungen oder von Umweltzerstörung müssen Zugang zur Justiz haben, sodass die Richtlinie keine neue Version einer Form von freiwilliger Unternehmensverantwortung wird, sondern einen Rechtsrahmen mit einklagbarer Haftbarkeit schafft.
Links:
European Coalition for Corporate Justice: Over 140 organisations call for gender-responsive corporate sustainability legislation, 6.3.2023
Netzwerk Soziale Verantwortung: “Menschenrechte brauchen Gesetze”
WIDE-Mitglieder: https://wide-netzwerk.at/mitgliedsorganisationen/