Kirchliche Entwicklungszusammenarbeit: Zur Rolle katholischer Akteur*innen in Entwicklungspolitik und -forschung
Worin unterscheidet sich kirchliche von nicht-kirchlicher Entwicklungszusammenarbeit und welche Rolle spielt der Faktor „Religion“ im entwicklungspolitischen Kontext? Tragen Religionen zu einem friedlichen Zusammenleben, zu mehr Gleichheit und Selbstbestimmung für alle Menschen bei? Oder dienen sie eher der Aufrechterhaltung überkommener Normvorstellungen und starrer Hierarchien? Diese und ähnliche Fragen standen im Zentrum des Vortrags. Dabei ist die Beschäftigung mit Religion in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit „Entwicklung“ alles andere als selbstverständlich.
Obwohl religiöse Akteur*innen wie Missionar*innen oder kirchliche Hilfswerke z.T. bereits seit Jahrhunderten im Nord-Süd-Kontext tätig waren und nach dem Zweiten Weltkrieg den Aufbau einer zivilgesellschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit maßgeblich mitgestalteten, spielte der Faktor „Religion“ für die Organe der offiziellen Entwicklungspolitik lange kaum eine Rolle. Staatliche Entwicklungsprogramme konzentrierten sich auf wirtschaftliche Aspekte und große Infrastrukturprojekte. Und oft herrschte die Annahme vor, die Länder des Globalen Südens würden eine säkulare Entwicklung nach europäischem Vorbild einschlagen. Nach dieser Vorstellung würden Religionen zunehmend aus dem öffentlichen Leben verschwinden und bestenfalls im privaten Bereich fortbestehen.
Doch diese „Säkularisierungsthese“ hat sich nicht bewahrheitet. Nach wie vor versteht sich ein großer Teil der Weltbevölkerung heute als religiös, rund 1,2 Milliarden Menschen bekennen sich alleine zum katholischen Glauben. Insbesondere in den Ländern des Globalen Südens ist Religion für viele Menschen ein zentraler Bestandteil ihrer alltäglichen Lebensrealität. Im Sinne einer kontextsensiblen Entwicklungszusammenarbeit, die die Menschen mit ihren eigenen Ansichten und Anliegen ins Zentrum stellt, kann diese Realität nicht so einfach ignoriert werden. Zudem haben Religionen in den letzten Jahrzehnten, v.a. durch das Erstarken fundamentalistischer Bewegungen, auch politisch an Bedeutung gewonnen.
Seit rund 20 Jahren zieht das Thema „Religion“ daher auch zunehmend die Aufmerksamkeit der internationalen Entwicklungspolitik und -forschung auf sich – mancherorts ist gar von einem „Religious Turn“ die Rede: Wissenschaftler*innen beschäftigen sich mit den Auswirkungen von Religionen auf Verhaltensweisen und gesellschaftliche Strukturen und Entwicklungsagenturen (etwa die Weltbank, USAID oder die deutsche GIZ) unterhalten Dialog- und Kooperationsprogramme, um die Zusammenarbeit mit religiösen Akteur*innen und Organisationen zu intensivieren. Religiöse EZA-Organisationen werden hier als vielversprechende Partner*innen angesehen, mit deren Hilfe Entwicklungsprogramme effizienter gestaltet und zusätzliche finanzielle Mittel nutzbar gemacht werden können. In Bezug auf katholische EZA wird vor allem deren beinahe globale Präsenz geschätzt, sowie deren lokale Verankerung und zentrale Rolle in abgelegenen Gebieten, die von staatlichen Strukturen oftmals nicht erreicht werden. Aber auch die langjährige Erfahrung und Professionalität in der Entwicklungszusammenarbeit sowie die beachtlichen Fundraisingkapazitäten vieler katholischer Hilfswerke spielen eine Rolle für deren veränderte Wahrnehmung.
Nichtsdestotrotz schlägt den entwicklungspolitischen Aktivitäten kirchlicher Akteur*innen, v.a. im Bereich der Entwicklungsforschung, weiterhin große Skepsis entgegen. Diese, so der Vorwurf, ziele in Wahrheit vorrangig auf die Bekehrung der eigenen Glaubensvorstellungen ab und verbreite damit ein rückwärtsgewandtes Gesellschaftsbild und starre, hierarchische Werte und Verhaltensnormen. Zudem haben Missbrauchs-, aber auch Finanzskandale in den letzten Jahren das Vertrauen in die Katholische Kirche erschüttert und verweisen auf strukturelle Problemlagen. Wenngleich diese Kritiken häufig pauschalisierend vorgebracht und der vielfältigen Praxis katholischer Entwicklungszusammenarbeit kaum gerecht werden, so gilt es sie doch ernst zu nehmen. Denn die globale Präsenz der christlichen Religion ist eng mit der Geschichte kolonialer Eroberung und gewaltvoller Missionierung verbunden. Zu oft wurde die christliche Religion missbraucht, um andere Weltanschauungen und Lebensformen abzuwerten und Eroberung, Unterdrückung und Ausbeutung zu rechtfertigen. Katholische Entwicklungszusammenarbeit muss sich dieser Vorgeschichte stets bewusst sein und auch heute kritisch über die eigene Rolle und Praxis reflektieren. Nur so können Wege der Heilung für vergangene Verbrechen gefunden und mögliche Folgewirkungen und blinde Flecken aufgespürt und überwunden werden.
Doch neben dieser dunkeln Geschichte gab und gibt es stets auch eine Geschichte, die den christlichen Grundauftrag zur radikalen Liebe und Dienst am Menschen mit Leben erfüllt(e). Von Beginn der kolonialen Eroberung an stellten sich Missionar*innen in diesem Sinne konsequent an die Seite der indigenen Bevölkerung. Heute unterstützen zahlreiche Akteur*innen katholischer Entwicklungszusammenarbeit Randgruppen in aller Welt in ihrem Streben nach einem selbstbestimmten, sicheren und erfüllten Leben – sei es durch den Aufbau sicherer Lebensgrundlagen, Projekte zur (politischen) Selbstermächtigung oder ihren Einsatz für gerechtere politische und wirtschaftliche Strukturen auf globaler Ebene. Dabei sind diese Aktivitäten weit mehr als bloß eine weitere oder besonders „effiziente“ Form der Entwicklungszusammenarbeit. Ihre normative Verankerung in einem befreienden Christentum, ihre institutionelle Einbettung in die Weltkirche und ihre oft relativ stabile finanzielle Basis verleihen ihnen eine besondere Position und oftmals verhältnismäßig große Unabhängigkeit gegenüber den großen Playern staatlicher und multilateraler Entwicklungspolitik und einflussreichen Stiftungen. Diese Spielräume können genutzt werden, um die Stimmen und Anliegen ihrer Partner*innen im Globalen Süden konsequent zu stärken und politische Missstände und Fehlentwicklungen in Globalen Norden wie Süden lautstark anzuprangern. Dieses besondere Potential wurde und wird in Vergangenheit wie Gegenwart bereits vielfach auf eindrucksvolle Weise genutzt. In den letzten 10 Jahren haben päpstliche Lehrschreiben und kirchliche Prozesse wie die Amazoniensynode diesem befreienden Auftrag neuen Auftrieb gegeben. Mit ihrer Kritik an einem todbringenden - menschenverachtenden und ökologisch zerstörerischem -Wirtschaftssystem und ihrer klaren Positionierung für jene Menschen, deren Stimmen heute zum Verstummen gebracht werden, legen sie den Finger auf die Wunden der Gegenwart. Eine katholische Entwicklungszusammenarbeit die diese Impulse weiter konsequent aufgreift und vertieft kann vielleicht bereits heute tatsächlich „Sauerteig der sozial-ökologischen Transformation“ (Erwin Eder) sein.