Österreichs Nachhaltigkeitspolitik braucht "Wiederbelebung"
Wien, 12.12.2016 (KAP) Österreichs Politik ist nach Ansicht mehrerer NGOs beim Thema Nachhaltigkeit enorm in Rückstand gekommen: Bei der Umsetzung der 2015 von der UNO beschlossenen Nachhaltigkeitsziele (Agenda 2030/SDGs) gebe es hierzulande einen "nachhaltigen Stillstand" und die jüngste Verleihung des Negativ-Auszeichnung "Fossil des Tages" bei der UN-Klimakonferenz in Marrakesch an Österreich sei durchaus gerechtfertigt, sagten Vertreter der Dreikönigsaktion (DKA) der Katholischen Jungschar, der Gemeinwohlökonomie, des Club of Rome und der Wiener Wirtschaftsuniversität am Montag bei einer Pressekonferenz in Wien.
Während Deutschland oder die Schweiz für die Umsetzung der UN-Ziele längst eigene Strategien hätten, dauere hierzulande die Bestandsaufnahme schon seit August 2015 an und schließe obendrein die Zivilgesellschaft und Wissenschaft aus, schilderte DKA-Experte Daniel Bacher. Eine Orientierung der heimischen Politik an den SDGs böten die "Chance, Österreichs Nachhaltigkeitspolitik wiederzubeleben", zumal die aktuelle heimische Nachhaltigkeitsstrategie noch immer auf das Jahr 2002 zurückdatiere und alle bisherigen Reformanläufe im Sand verlaufen seien, so Bacher.
Für diese "Wiederbelebung" des Nachhaltigkeits-Themas reiche das bisher von der Regierung betriebene bloße Mainstreaming ohne neue konkrete Maßnahmen nicht aus, befand der Anwaltschafts-Zuständige der DKA. Österreich müsse in seiner Strategie auch Zeitrahmen, Verantwortlichkeiten und Mittel zur Umsetzung definieren, sowie Teilhabe der Zivilgesellschaft und Maßnahmen Transparenz und Überprüfung sicherstellen. Nachhaltigkeitspolitik müsse vom Bundeskanzleramt koordiniert und somit zur "Chefsache" werden, so Bachers Forderung.
Thematisch eng mit der Nachhaltigkeitsstrategie und den -zielen verknüpft ist nach Ansicht der NGO-Vertreter die künftige, von der EU geforderte nicht-finanzielle Berichterstattung. Die Richtlinie besagt, dass große Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern ab 2017 nicht-finanzielle Informationen zu Umwelt-, Sozial- Diversitäts- und Menschenrechtsfragen offenlegen müssen. Die EU-Vorgabe böte nach Ansicht der NGOs die "große Chance", Betriebe neben einer Finanzbilanz auch zur Messung ihres Beitrags zum Gemeinwohl zu verpflichten. Alles würde laut den NGOs jedoch darauf hindeuten, dass der Nationalrat diese Vorgaben am Donnerstag im sogenannten "Nachhaltigkeits- und Diversivitätsverbesserungsgesetz" (NaDiVeG) ablehnt.
Wie eine "ethische Marktwirtschaft" mit Anreizen für ethisch handelnde Unternehmen aussehen könnte, schilderte Christian Felber von der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung. "Derzeit erleiden Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil, wenn sie sich wegen höherer ethischer, ökologischer oder sozialer Verantwortung höhere Kosten und somit höhere Preise aufladen", legte der Experte dar. Alternativ könnte man die Ethikbilanz zu einem Teil des betrieblichen Lageberichts machen, sie auch inhaltlich prüfen und an Rechtsfolgen knüpfen. Differenzierte Steuersätze und Zolltarife, Vorrang im öffentlichen Einkauf oder ökosozial gestaffelte Kreditkonditionen wären hier etwa denkbar. Nachteile würden somit nicht nur ausgeglichen, sondern überkompensiert. Von diesem Ziel sei man derzeit allerdings "noch Lichtjahre entfernt", so Felbers Analyse.
Alle Unternehmen sollten über Nachhaltigkeit und ihre gesellschaftliche Wirkung nachdenken und darüber informieren müssen, forderte Olivia Rauscher vom NPO-Institut der Wirtschaftsuniversität Wien. Kleinere Betriebe sollten dabei aber lediglich eine "abgeschlankte" Version beantworten müssen, zudem sei die Erhebung teils auch branchenweise denkbar. Die von der EU vorgeschlagen Themenfelder sollten ausgeweitet werden: "Neben der sozialen, ökonomischen und ökologischen Wirkung sollte auch die politische, kulturelle und gesundheitliche berücksichtigt werden", so der Vorschlag der Expertin.