Bewahrung der biologischen Vielfalt nur mit Indigenen möglich
[PA, 20.05.2022] Der internationale Tag der Biodiversität muss Anlass sein, die wesentliche Rolle der indigenen Gemeinschaften in Ländern des globalen Südens beim Erhalt der Artenvielfalt zu würdigen und zukünftig abzusichern. „Die Diskussionen auf internationaler Ebene zeigen, dass die ökologischen Krisen noch zu wenig aus einer sozialen Dimension beurteilt werden.“ meint Anja Appel von der KOO.
Derzeit laufen die internationalen Verhandlungen zu einem neuen zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) und gipfeln im August in der COP 15 in Kunming/China. Zu den strittigsten Themen gehören die Finanzierung, Sanktionsmöglichkeiten auch die mögliche Ausweitung der Schutzgebiete. Denn angespornt von einem Zusammenschluss von Staaten, der sogenannten High Ambition Coalition for Nature and People, zu der auch Österreich gehört, soll die internationale Diskussion in diesem Jahr um neue Ziele erweitert werden, etwa die Schutzgebiete bis 2030 von derzeit 17% auf 30 % der weltweiten Erdoberfläche zu erweitern.
Die wissenschaftlichen Daten zeigen, dass die im bisher gültigen „Nagoya-Protokoll“ der UNO von 2010 mit den „Aichi-Zielen“ definierten Ziele alle nicht erreicht wurden und dass die Bedrohung der Biodiversität bereits dramatische Ausmaße angenommen hat. Der Verlust der Artenvielfalt verschärft zudem die Klimakrise wie auch umgekehrt die zunehmenden klimatischen Bedingungen zusätzlichen Druck auf ökologische Systeme ausüben.
„Theoretisch erscheint da die Ausweitung von Schutzgebieten, wenn sie mit entsprechenden Schutzanforderungen verbunden ist, zunächst eine sinnvolle Maßnahme. Allerdings ist eben noch umstritten, wie eine genaue Definition dieser Schutzgebiete aussehen soll, wer das Land in Zukunft wie nützen kann und ob eine Erweiterung tatsächlich zu einem erhöhten Schutz der biologischen Vielfalt führen wird.“ konstatiert Appel. Denn bislang kommt es bei der Errichtung eines Schutzgebietes oft zur Verletzung von Landnutzungsrechten oder gar zu Enteignungen und Vertreibung der dort lebenden Gruppen und damit zur Vernichtung deren Existenzgrundlagen. Die zusätzliche Kriminalisierung des Widerstandes der indigenen Gemeinschaften, wie sie vielerorts zu beobachten ist, verschärft die sozialen Spannungen.
„Die bisherigen Erfahrungen und Entwicklungen von zivilgesellschaftlichen Organisation lassen befürchten, dass das „30x30 Schutzgebietsziel“ auf Kosten der lokalen Bevölkerung umgesetzt wird, wenn diese zur Absiedelung gezwungen oder in ihren traditionellen Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt werden.“ meint Appel. „Bislang ist nicht erwiesen, dass eine Verdoppelung der reinen Fläche an Schutzzonen zu einem Erhalt der biologischen Vielfalt beiträgt, wenn sie mit der Absiedelung der „Wächter*innen des Waldes“ bzw. Bewahrer*innen der Natur verbunden ist.“ Denn Indigene leben zumeist in den hot spots der Artenvielfalt und gelten als die Förderer*innen der Biodiversität. So konnte ein gegenteiliger Effekt beobachtet werden, dass nämlich in Gebieten, wo lokale Gruppen verdrängt wurden, die Anzahl der Arten zurückgegangen ist. Vermutet wird, dass hinter diesen Ideen Wirtschaftsinteressen stehen, etwa die des Nationalparktourismus und der Finanzinstitutionen bzw. politische Ziele, wie eine (weitere) gesellschaftliche Diskriminierung Indigener. Schätzungen zufolge leben ca. 300 Mio. Menschen derzeit in potentiellen oder faktischen Schutzgebieten und wären daher von eventuellen Umsiedlungen bzw. Einschränkungen betroffen.
Die KOO plädiert daher an die Verhandler*innen Österreichs, sich in dieser entscheidenden Verhandlungsphase zum Übereinkommen strikt für die Einhaltung der indigenen Rechte einzusetzen und deren Kontrolle über ihre Territorien zu stärken. Sie tragen nicht nur zur Stabilisierung des Klimas bei, sondern ihre Beobachtung des Bodens und der Vegetation sind am effektivsten, um Änderung in Fauna und Flora schnell ersichtlich zu machen. Die Partizipation von Indigenen in der Planerstellung, Umweltverträglichkeitsprüfung und vor allem deren vorherige, informierte und freie Zustimmung zu solchen massiven Eingriffen ist unverzichtbar, denn sie beugen Menschenrechtsverletzungen vor und gewährleisten die Erhaltung der Biodiversität.
Die dringend notwendigen Klimaschutzmaßnahmen und Schritte zur Energiewende dürfen, auf europäische Lösungen kopierend, keinesfalls neue soziale und ökologische Probleme schaffen und dazu noch in andere Erdteile verlagert werden. „Es muss darum gehen, als Weltgemeinschaft gemeinsame Verantwortung für die biologische Vielfalt zu übernehmen, auch für die sozialen Aspekte dieser schwerwiegenden Krise.“